Die Clownin und Corona

 

Oft werde ich gefragt, wie es denn einer Clownin geht in diesen Zeiten. 

 

Der Lebenskünstlerin, die in jedem Moment neu lebt.

 

Sie ist wie gemacht für diese Zeit, nicht wahr?

 

Ja - und Naja.  

 

Ich hab hier mal meine losen Gedanken dazu aufgeschrieben. Auch animiert von Gela, die LEMONDAYS betreibt, DAS OnlineMagazin für Frauen im Wechsel. Dies ist mein Beitrag zu Ihrer Blogparade „50 Jahre ICH“. Herzlichen Glückwunsch, liebe Gela! -

Nie hätte ich gedacht, dass ich eine weltweite Krise dieses Ausmasses erlebe mit 51 Jahren. Du bestimmt auch nicht, gelle?


Ja, die Clownin hilft mir sehr! Naja...

Mit ihrem Humor, ihrer Leichtigkeit, der radikalen Akzeptanz, dem Übertreiben, Spielen, Einfach-Sein in allen Gefühlen, ihren Ideen, Ihrer Neugierde und ihrem unendlichen Staunen

 

Ich staune zum Beispiel immer noch über die Stille. Immer noch und immer wieder.

Wenn ich in der Natur bin, genieße ich die Vögel und Windgeräusche. Den stillen blauen Himmel. Frei. Kein Flugzeug! (Fast keins)

 

Naja... manchmal aber auch nicht.

 

Gestern war ich in Hamburg-City. Den Antrag auf Grundsicherung abgeben. Sicherheitshalber. Erstmal liegen bei mir fast alle Aufträge flach, die Einnahmen sind überschaubar. Ich?! Ich muss Grundsicherung beantragen? ... 

In der Innenstadt fand ich es dann unheimlich mit der Stille. Die geschlossenen Geschäfte. Graue große Bauten. Die Geisterstadt. Menschen, die in Abstand und Angst, oder völlig unbedacht und zu eng, aneinander vorbeigehen. Die Angst und Leere war spürbar. Mir fehlte Verbindung. In mir. Da lodert irgendwie etwas. Das Eingesperrte will raus!

 

Da bin ich, Kristina, mit diesen Ängsten, Unsicherheiten, Widersprüchen und Kopfkinos, Panik, Rebellion – wie alle anderen auch.

 

Wenn ich all das nicht ins Clowninsein bekomme, weil ich es nicht fühlen will … – dann hilft mir die Clownin nicht. Weil ich nicht offen bin.

 

Ja, eine Clownin könnte auch das alles sehr gut! Auja, Angst, Auja, Unsicherheit, auja Ärger, auja, Rebellion – Auja, Leere, … Jedes Gefühl genießen… , WENN sie fühlt!

 

Und nein, ehrlich, das mag ich grad nicht immer. Ich gebe es zu.


Als ich auf die Welt kam, fand ich spielen gut.

 

Spielen…

 

Tanzen, springen, Musizieren, Puppenspiel und Kriegenspielen…

 

Rennen, Hüpfen, Ballspielen, Jubeln, Foppen, Malen, Lachen...

 

Nach Jahren von Perfektionsallüren, Ernsterei, Anspannungs-Gedöns und Depressions-Getöse, stolperte ich zum Glück mit ca. 33 Jahren sowohl über Jan Garbarek (norwegischer Saxophonist), als auch über die Clownerie. Es begann eine Offenbarung und Wiedererweckung meines freien inneren Mädchens, was manchmal ganz schön mühsam war. Wieviele Erwachsenen-Schichten hatte ich inzwischen draufgeschaufelt?

 

Heute ist die Musik und Clownerie Bestandteil eines jeden Tages, naja, fast – und es ist manchmal wie eine Medikation, die mich aus dem Sog des klagenden Menschseins herauszieht. - Wobei die Melancholie der Clownin ja auch zugeschrieben wird. Alles darf sein.

 

Die Freiheit der Clownin findet für mich immer wieder ihren Höhepunkt, wenn sie an Orten spielt, wo es ganz unüblich ist: Kirchen, Straßen, Flüchtlingsunterkünften.

Aber niemals hätte ich gedacht, dass das mal nicht mehr so gehen würde...

...Dass wir Kontaktverbote haben.

 

Für Menschen ist das … unnatürlich. Wir brauchen uns. 

 

Viele Videos kursieren jetzt im Netz über das Social Distancing.

 

Ich habe keine eigene Familie. Also keine Umarmung. Ich bin kreativ geworden und spiele umarmen aus der Ferne mit meiner Familie, so dass sich jeder selbst fest umarmt. Das ist eine gute Selbstliebe-Übung, die uns dann zum Lachen bringt. Neben den Tränen im Hals.

 

Auf der Straße spielen… ja, das habe ich letztens noch gemacht, kurz vor dem Kontaktverbot:

 

Ich musste nach Altona zu einem Arzt-Termin. Da ich grad Clownin war im Kostüm für ein Video, blieb ich gleich so und nahm Seifenblasen und - mangels Taschentuch - eine angebrochene WC-Rolle mit.

In der Fußgängerzone kam ich mit einer Frau ins Gespräch, die kein Mehl und WC-Papier mehr bekommen hatte. Ich reichte ihr also mit großem TamTam und Trommelwirbel ein edles Stück meines WC-Papiers - als ob es der edelste Diamant sei - und wir lachten uns schlapp. Nebenbei liefen mehrere Personen mit 3 Paketen WC-Papier… sie kamen aus der anderen Richtung… - alles unglaublich und wirklich wahr. 

Mit Seifenblasen beglückte ich dann noch einige Kinder und dankbare Erwachsene - mit gebührendem Abstand. Und dachte: „Wie schön, alle brauchen Humor und Spiel so sehr!“.

 

Mit Clowns-Kollegen sind wir momentan im Gespräch, was wir demnächst mal draußen auf der Straße tun, mit Abstand und nur zu zweit… 

Einfach losziehen! Spielen!


Was bleibt? Das Internet - Angst wegzaubern online!

Anfangs fand ich großen Spaß am Video und habe viele kleine Filmchen gedreht: als Clownin LOTTE zuhause, von Hertha vom Huhn und Tiger Edgar auf der Wiese und Welpe Schnuffi wieder daheim, weil die Sonne nicht schien.

 

Endlich Sonne! Während die Delphine die Küsten und die Rehe die Martplätze zurückerobern, macht auch Edgar, der Tiger einen Ausflug und genießt die Freiheit! Er hat das mit der "Quatschäne" der Menschen einfach ausgenutzt... hihi... :)

 

Schaut sie Euch an, es ist eine große Freude. Zumal Hertha vom Huhn sehr weise über die umhergehende Angst spricht und ihren Tipp zum Angst wegzaubern verrät.

 

Wie dankbar kann ich doch sein, grünnah zu wohnen.



"Balkonkonzerte" - den Menschen Hoffnung schenken

Ein neues liebgewonnenes Ritual ist nun das „Balkon-Konzert“ um 18 Uhr. Meine NachbarInnen scheinen es schon zu erwarten, ich bekomme viel Applaus – und werde im Haus dankbar darauf angesprochen, bekomme sogar Kuchen geschenkt!

 

Mir wärmt es mein Herz. Mein Ton trägt ja weit. Ich wollte gerne mal Turmbläserin werden, beim Hamburger Michel – dort spielt immer ein Trompeter von oben auf die Stadt. Ein bißchen komme ich mir jetzt so vor. Ich spüre, dass ich den Menschen Hoffnung schenke.

 

Auch habe ich jetzt Zeit zu recherchieren, wo in Hamburg schöne besondere Klangräume sind. Ein erster Tipp und ein spannendes Abenteuer war letzte Woche das Spiel an der Elbe:

Klangraum-Saxophon im Schröder-Tunnel Hamburg-Nienstedten

Ein kleiner feiner Fußgängertunnel führt unter der Hamburger Elbchaussee hindurch zur Elbe bei der Elbschlossstraße. Ein wunderbarer Klangraum, den ich mit dem Sopransax erklingen lassen wollte... Wunderschön!

 

Danach saß ich noch lange in der Sonne am Elbstrand und schaute den Schiffen und der Baluga von Airbus zu...

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern darf ich glücklicherweise alleine auf der Bank sitzen. 



Rückschau auf Traum-Auftritte - wie im Himmel

Und ich halte Rückschau. Auf meine Traumauftritte im Ruhrgebiet. Ich wünsche mir davon nämlich mehr in Hamburg.

 

Als Clownin Lotte in der Lydiamesse tanzte ich Walzer im Altarraum und verbreitete Lebensfreude. Es war wie im Himmel! Als Saxophonistin spielte ich in der großen Dortmunder St Petri Kirche zum Frauenmahl vor mehr als 100 Frauen meine eigenen Lieder, ebenso wie zum jährlich gefeierten Todestag Edith Steins bei den Karmelitinnen in Essen. Improvisationen in der Kokerei von Zeche Zollverein zu einer Vernissage, Saxophon von LOTTEs Himmelsleiter in Schwertes Sternenhimmel beim Welttheater der Straße, Flüchtlingskinder, die mir die Seifenblasen klauen und fragen "Wann kommst Du wieder?"

 

Tausende von Goldmomenten habe ich in meiner bald 14 jährigen Selbständigkeit als Clownin und Saxophonistin erlebt.

 

Momentan liegt es auf Eis. Aber ich möchte die Auszeit zum Kontakteknüpfen im Norden nutzen.


Pfeift! Hört nicht auf zu pfeifen und singen – auch in Euren vier Wänden

Was gerade quälend für mich ist, ist die steigende häusliche Gewalt. Und meine Hilflosigkeit.

 

Die Freiheit der Clownin...

 

wie kann ich da helfen?

 

Ich kann nur hoffen, dass wir alle bald wieder raus dürfen.

 

Und dass meine Clownin-Kurse wieder stattfinden können. Auch wenn ich gerade an einem Online-Kurs bastele, so bin ich ja immer noch so … ja, was? Verwegen? Ja, ich hoffe immer noch, dass ich am 6.6. nach Korfu fliege, um den Frauen die Kunst und Freiheit der Clownerie zu vermitteln und mit ihnen mit roter Nase ins Meer zu laufen!

 

"Als Kind haben wir immer draußen gespielt!"

 

Ein I-Tüpfelchen ist der Kurs Straßentheater für die Clowninnen – im Park, mit der Natur!

Keine Show, nur Spiel mit uns – aber mutige freie pfeifende Frauen – die brauchen wir, das braucht die Welt. Und daran glaube ich weiterhin – auch und gerade im öffentlichen Raum.

 

So bleibt mein Aufruf als 51-Jährige, die sich ihre Freiheit mühsam zurück geholt hat:

 

Pfeift! Hört nicht auf zu pfeifen und singen – auch in Euren vier Wänden. Und wenn es nicht mehr geht, geht hinaus. Holt Hilfe! Ruft das Frauenhilfetelefon an. Die Apotheken helfen auch mit einem Geheim-Code. ApothekerInnen sind gehalten, bei dem Code-Wort sofort die Behörden zu informieren. Schreibt Zettel und legt sie vor. Wenn ich helfen kann, ruft mich an.

 

Vielleicht hilft auch einer meiner Balkon-Töne oder meiner kleinen Filmchen den Menschen in ihrem Zuhause und stiften Frieden und Trost. Verbreitet die Videos gerne!


Es heißt "Zuhause bleiben". Aber wo ist das? Meine tägliche Medikation

 

„Enjoy!“ Sagt Thich Nhat Hanh nach seiner Meditations-Einladung zum Atmen. 

 

„Der Genuss ist unser Kompass!“ sage ich als Motto meiner Clownin-Kurse. 

 

Jetzt bin ich mal ganz weise: 

 

Wir haben in Wahrheit nichts anderes, als diesen Augenblick. Und wir haben ein Recht darauf, ihn zu genießen. Es darf uns gut gehen. Wirklich! Es bedarf keiner Anstrengung. Im Gegenteil. Es bedarf loslassen und Sein. – Nur, wie geht das? 

 

Viele Wege gibt es, im gegenwärtigen Moment wirklich anzukommen - die Gedanken rasen im Kopf, die Angst lähmt, die Gier drängt, der Körper ist unruhig… Irgendwas ist immer.

Mir helfen Entspannungsmethoden, Meditation und natürlich die Clownerie und Musik, um im Hier und Jetzt bei mir zuhause zu sein. Und die Bereitschaft, alle Gefühle zu fühlen. Und mit anderen zu teilen. Zuzuhören.

 

Ein paar Anregungen für Humor und Schabernack, um Euch selbst zu amüsieren, findet Ihr in den Blog-Artikeln, besonders bei "Die Clownin und das Schön-Sein" - und hier:

  • Lächelt einfach ohne Grund
  • Verschenkt ein Stück WC-Papier als ob es edler Schmuck sei
  • Singt und spielt Musik aus dem Fenster (jeden Abend um 18 Uhr)
  • Geht rückwärts und verblüfft die Welt damit - und Euch selbst
  • Ruft eine einsame Freundin an, hört zu und erzählt von Eurem Tag.
  • Schreibt jeden Tag drei Dinge auf, für die ihr dankbar seid.
  • Tut einfach mal nichts
  • Schreit, weint, tobt - ohne jemand zu gefährden
  • Entspannt Euch mit Autogenem Training oder Progressiver Muskelentspannung oder offener Entspannung online (ganz neu am Montag!)
  • Fragt FreundInnen nach ihrem besten Witz
  • Tut endlich das, was ihr schon immer mal machen wolltet - oder träumt davon!

 

Was hilft Euch? Wovon träumt Ihr?

 

Ich freue mich auf Eure Kommentare - bleibt verschmitzt und gesund!

Eure Kristina 

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Gela Löhr (Donnerstag, 16 April 2020 08:37)

    Liebe Kristina, sie ist sehr bewegend, Deine Rückschau. Und sie rüttelt auf. So wie die verrückte Zeit es eben auch tut, in der wir gerade leben. Doch ich bin überzeugt davon, dass diese Krise uns stärker machen wird und unsere ganze Gesellschaft in eine gute Richtung bewegt. So wie Du als Clownin und Musikerin seit vielen Jahren.
    Danke für Deine tief gehenden Zeilen für unsere Blogparade.
    Gela (LEMONDAYS)

  • #2

    Doris Popinga (Freitag, 17 April 2020 19:31)

    Menschen wie du bringen nicht nur regenbogenschillernde Seifenblasen und knallbunte Luftballons zu den Menschen sondern zaubern auch ein glitzerleuchtendes Funkeln in die Augen der Angst, der Verzweiflung und der Traurigkeit. Stumme Kinder finden ihre Sprache wieder. Gebrochene Herzen getröstet, Kranke gestärkt und den Verbiesterten das Lachen geschenkt.
    Eine farbenfrohe Umarmung von der Gesandten des Planeten hinter dem Regenbogen, du weißt schon, die die Farbenmedizin bringt❤️������